Simon Boccanegra / Giuseppe Verdi
Kritiken
Im Räderwerk
Opernwelt Ausgabe 12/2018 – Kritik von Uwe Schweikert
Wenn sich der Vorhang öffnet, gibt die Szene den Blick frei auf eine mit Toten übersäte, unablässig kreisende Drehbühne. Von oben senkt sich ein blecherner Lautsprecher herab, aus dem die Schlussansprache aus Charlie Chaplins Film «Der große Diktator» ertönt. Der flammende Aufruf für Frieden und Freiheit ist ein gleichsam vorauseilender Kommentar zu dem, was uns in Verdis «Simon Boccanegra», seiner wohl persönlichsten, jedenfalls finstersten Oper erwartet.
In den schicksalhaften Verkettungen und zwanghaften Wiederholungen der verworrenen, schwer durchschaubaren Handlung legt die junge Regisseurin Magdalena Fuchsberger ein fatalistisches Geschichtsdrama von bestürzender Aktualität offen: Männer machen Geschichte, und Frauen sind die Opfer. Boccanegra lässt sich von Paolo, dem Anführer der Volkspartei, erpressen und vom Volk zum Dogen von Genua wählen – ein unheilvolles Bündnis mafioser Machenschaften, bei dem schließlich beide umkommen: Paolo vergiftet Boccanegra und wird selbst hingerichtet.
Fuchsberger findet intensive, beklemmende Bilder für ein zeitloses Spiel, das auch die Täter korrumpiert, ja zerstört. Monika Biegler hat ihr dafür vier serienmäßig gestylte, mit Schreibtisch, Sessel, Ledersofa, Stehlampe und Fernseher identisch ausgestattete Räume auf die Drehbühne gesetzt. Die Regisseurin setzt diese Hinterzimmer der Macht virtuos, aber auch kalt analysierend ein – und gibt damit dem quälend auf der Stelle tretenden Stück ein oft atemraubendes Tempo.
Immer ist die Bühne in Bewegung, öffnen und schließen sich Türen, werden Figuren und ihr Zusammenprall in mosaikhaften Bruchstücken herausgezoomt. Fuchsberger setzt auf eine szenische Polyphonie, die das Geschehen durchsichtig macht – etwa wenn bei Simones Auseinandersetzung mit seinem Widersacher Fiesco die tote Maria, Fiescos Tochter und Simones Geliebte, anwesend ist. Oder wenn Paolo mehr und mehr als das Alter Ego, die schwarze Seite Simones erkennbar wird, bis die beiden sich am Wendepunkt des Dramas, der dämonischen Verfluchung Paolos, wie Spiegelbilder, einander fast berührend, Auge in Auge gegenüberstehen, während die Volksmenge ins Nebenzimmer zurückgedrängt ist.Fuchsberger, und das hebt ihre Arbeit wohltuend von denen vieler jüngerer Kolleginnen und Kollegen ab, inszeniert weder das Textbuch noch den Subtext, den sie aus ihm herausliest, sondern die Emotionen der Musik. Sie lässt ausagieren, was die Figuren im Innersten bewegt, bespielt Stühle, Tische und das Sofa in exzentrischen Positionen – die Gewalt der Musik gefriert in Bildern. Oft genug liegt dabei die einzige Frau, Amelia, niedergestreckt am Boden oder wird unter die Schreibtische gezwängt und so mundtot gemacht.
Auch die gezielte Umstellung – der Schlussakt markiert den Beginn – wirkt plausibel. Problematisch allerdings ist der harte Pausenschnitt im ersten Akt, fraglich auch Amelias Umdeutung zur Hoffnungsträgerin eines neuen Lebensmodells. Die Regisseurin scheint selbst nicht recht daran zu glauben, wenn sie ihr am Ende, bei der Paraphrase von Chaplins Friedensappell, jetzt jedoch in weiblicher Form, mitten im Satz durch den fallenden Vorhang das Wort abschneidet. Alles bleibt offen – wie in Verdis Musik, die mit einer leeren Quinte schließt.Die Aufführung ist bestürzend radikal und von einer emotionalen Intensität, die niemanden kalt lässt. Umso mehr als alle Beteiligten – Orchester, Chor und Solisten (Veronika Haller und Kwang-Keun Lee seien hervorgehoben) – auch musikalisch überzeugen. Es ist eine der eindrucksvollsten Verdi-Inszenierungen, die ich in den letzten Jahren an einem deutschen Opernhaus gesehen habe. Hagen ist eine Reise wert!
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